Page 12 - uftpost Ausgabe 06 2021-06
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Heimat
   Illustrati  on: iStock.com/clu             Eduard Mörike in Bad Mergentheim





                                              Ach, seine Berufswahl war gar nicht glücklich! Zwar – die Voraussetzungen,
                                              die er mitbrachte, waren gut: die Leidenschaft  für Worte und Menschen, seine
                                              Imaginationskraft und Fantasie, seine Fähigkeit, von der lauten Welt als


                                              vielleicht gering oder nebensächlich erachtete oder gar nicht beachtete Dinge
                                              und Ereignisse mit seinen Worten, seiner Sprache ins Bewusstsein zu bringen
                                              und mit Leben zu füllen. Doch das Genie brauchte zu seiner Entfaltung mehr


                                              Freiheit, als es das evangelische Pfarramt mit seinen regelmäßigen Pflichten
                                              und Vorgaben bot.
                                              Eduard Friedrich Mörike wurde am 8. September 1804 in Ludwigsburg als
                                              siebentes von dreizehn Kindern geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters wurde
                                              Eduard von seinem Onkel Eberhard Friedrich Georgii aufgenommen, der ihm


                                              den Besuch eines humanistischen Gymnasiums in Stuttgart und eine Ausbildung
                                              für das Pfarramt ermöglichte. Mörike besuchte das Seminar in Urach, dann


                                              das Tübinger Stift. Danach hatte er viele wechselnde Vikariatsstellen inne und

                                              zog – wie auch in seinem späteren Leben – häufig um.

           Eduard Friedrich Mörike, 1804–1875
                                              Nach mehreren unglücklichen Beziehungen und als oft von Rheumaschüben


                                              geplagter Mann, der finanziell ganz und gar nicht gesichert dastand, auch weil
                                              er drei seiner Brüder unterstützte, kam er 1844 nach Bad Mergentheim. Im

                                              Jahr zuvor hatte er seinen vorzeitigen Ruhestand beantragt. Er bezog zusammen

                                              mit seiner Schwester Klara eine Wohnung im Haus des Oberleutnants Valentin

                                              von Speeth am Marktplatz/Ecke Burgstraße. Dort hätte das Glück für ihn

                                              wohnen können – wäre seine zukünftige Frau Gretchen nicht auch, wie die

                                              meisten Bürger zu Mergentheim, katholisch gewesen! Pfarrer Mörike sah
                                              darin, anders als seine fromme evangelische Schwester und die katholischen
                                              Nachbarn, kein Problem. Die Stadt zerriss sich‘s Maul über die Ménage à trois.
                                              Und die beiden Frauen? Optimal war das ungleiche Miteinander nicht.


                                              Der ehemalige Pfarrer fand seine Fluchten in den wohltuenden Landschaften

                                              des lieblichen Taubertales, unternahm viele ausgedehnte Wanderungen,
                                              sammelte Petrefakten, besuchte häufig zu Fuß seinen Freund und Pfarrkollegen

                                              Hartlaub in Wermutshausen.

                                              Für heutige Wanderfreunde gibt es einen ausgeschilderten Mörike-Wanderweg,

                                              der am ehemaligen Mörikehaus am Marktplatz in Bad Mergentheim beginnt

                                              und über mehrere, mit passenden Mörike-Gedichten versehene Stationen hinauf
                                              zum Trillberg führt.

                                              Dort oben am Trillberg angekommen, kann man auch – vom Waldrand hinab
                                              ins Wolfental von Neunkirchen schauend – Mörikes berühmtes Frühlingsgedicht
                                              „Er ist’s“ von 1829 lesen:







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                               u f t p ost
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